Stein auf Stein zum Fachkräfte-Angebot

Wer steckt eigentlich hinter den Strukturwandelprojekten? Wir haben einem der erfahrensten Projektmanager bei der Wirtschaftsregion Lausitz auf die Finger geschaut. Und dabei gelernt, was die „Erste Lego-Liga“ mit Ausbildungsförderung zu tun hat.
50.000 Fachkräfte werden in den kommenden Jahren in der Lausitz gesucht – das ist die aktuelle Schätzung. Doch jetzt schon erschreckt der Mangel auf breiter Front. Motivierte Menschen werden in fast jedem Berufsfeld dringend gesucht.
Einer, der dagegen ankämpft, ist Thomas Berlin. Der 59-Jährige zählt zu den erfahrensten Projektmanagern bei der Wirtschaftsregion Lausitz. Sein Spezialgebiet ist die Fachkräftesicherung als wichtiger Teil seiner „Werkstatt“, in der er Projekte bis zur Förderreife vorantreibt und qualifiziert. Seine Werkstatt deckt das weite Feld der Unternehmen, der Wirtschaftsentwicklung und der Fachkräftegewinnung ab.
Ein zentraler Baustein ist die „Kompetenzregion Lausitz“. Es geht um die berufliche Orientierung und die Aus- und Weiterbildung bei Heranwachsenden und Berufseinsteigern sowie die Fachkräftegewinnung unter den Erfahrenen, den – neudeutsch – „Senior Professionals“.
Thomas Berlin ist nach spannenden Stationen in der letztgenannten Stufe angekommen. Der gebürtige Cottbuser fing als junger „Stift“ mit Abitur im Kraftwerk Jänschwalde an, arbeitete dort als Baufacharbeiter, ehe er nach kurzer Zwischenstation im Grundwehrdienst der NVA zum Studium ging. Der junge Diplomingenieur im Bauwesen heuerte danach als Statiker im Bau- und Montagekombinat Kohle und Energie in Cottbus an, dem größten und leistungsstärksten Baubetrieb der DDR, stieg dort zum Messtruppführer auf. Doch der befristete Vertrag wurde nicht verlängert; Thomas Berlin schulte um zum Programmierer, fasste dann im Fraunhofer-Institut in Cottbus Fuß. Im Lauf der zehn Jahre dort wurde er zum Projektmanager ernannt – die Erfahrung war da, die Ruhe, Struktur und Fähigkeit zur Reflexion ebenso. 2012 folgte der Wechsel zur Energieregion, aus der später die Wirtschaftsregion Lausitz hervorging.
Unzählige Projekte hat er seither gemanagt, begleitet, bis zur Umsetzung gebracht und sich mit ihrem Erfolg gefreut – das ein oder andere aber auch wieder begraben müssen. Aktuell steckt er alle Kraft in die Fachkräftegewinnung und die zielgerichtete Aus- und Weiterbildung. Die Initialzündung dafür liegt einige Jahre zurück: „Während meiner Tätigkeit am Fraunhofer-Institut organisierte ich mit Kolleginnen und Kollegen den Regionalwettbewerb der First Lego League“, sagt er. Diese „Lego-Liga“ ist ein Roboterwettbewerb für Kinder, bei dem spielend das Interesse für Technik geweckt wird. „Es hat immer riesigen Spaß gemacht, wenn man die Begeisterung der Kinder gesehen hat“, erinnert sich Thomas Berlin.
Folgerichtig griff er nach seinem Wechsel die Aktion wieder auf, setzte sie in Kooperation mit der BTU Cottbus-Senftenberg bis zur Corona-Pandemie weiter um. Im Ergebnis aber entstand daraus noch mehr: Das Portal mit dem Namen „Lausitz – Starke MINT-Region“.
Ohne starke Partner wiederum wäre all das nicht möglich. Seit langem zieht Thomas Berlin an einem Strang unter anderem mit Katja Bolz von der Wirtschaftsförderung Brandenburg oder mit Manja Bonin als Geschäftsführerin der Cottbuser Handwerkskammer. Beide sind aus seiner Sicht ganz aktive Unterstützerinnen, vielleicht sogar Treiberinnen in diesem komplexen Prozess, der am Ende dazu führen soll, dass beispielsweise die allein schon weit über 1000 Industriearbeitsplätze im Cottbuser Bahnwerk mit engagierten Lausitzern besetzt werden können, ohne dass andere Betriebe personell ausbluten.
Gesucht wird in vielen Berufen. Teil des großen Arbeitsfelds unter dem Titel „Kompetenzregion Lausitz“ ist daher das Leistungszentrum Lausitz im Verbund mit dem Ausbildungspensionat in Schwarzheide. Unternehmen können dort modernste Labore nutzen, um ihren Azubis eine hochwertige und zukunftsorientierte Ausbildung zu ermöglichen.
Azubis wiederum können auf höchstem technischen Niveau ausgebildet werden und damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Betrieben wird das Haus künftig vom TÜV Rheinland. Und junge Leute können dort ihre Ausbildung zum Industriemechaniker oder Zerspanungstechniker vertiefen, Elektriker, Verfahrensmechaniker, Chemikant, Fachlagerist oder Industriekaufmann beziehungsweise -frau werden. Ab August 2026 soll das möglich sein, bis dahin werden in den Standort 70 Millionen Euro investiert.
Es ist ein weiter Weg vom Durchführen eines Lego-Wettbewerbs bis zum Qualifizieren eines solchen Projekts. Doch die Methodik ist ähnlich. Im Kern dessen, was ein Projektmanager wie Thomas Berlin in seiner „Werkstatt“ macht, steht dies: Mithilfe eines umfangreichen Netzwerks Stein für Stein die einzelnen Schritte aufeinander aufbauen, immer wieder überprüfen, ob alles stimmig zueinander passt – vor allem zur übergeordneten Strategie –, nichts auslassen.
Jedes Projekt dürfte somit ein Marathon für sich sein. Es passt, dass Thomas Berlin in seiner Freizeit ein Läufer ist. Beim Marathon hält er sich inzwischen zwar ein bisschen zurück, doch viele Jahre lang waren zwei, drei pro Jahr die Regel. Zwei will er demnächst noch laufen, darunter den Rennsteigmarathon.
Deshalb trainiert der WRL-Projektmanager regelmäßig in der Cottbuser Laufgruppe – und kann dort hin und wieder Berufliches mit Privatem verbinden, mal außerhalb der Antrags-, Nachschärfungs- und Abstimmungskommunikation schnell einen Tipp geben, woran noch zu denken ist.
Thomas Berlin ist gut vernetzt in seiner Heimatregion, die er voranbringen will. Sein eigener Lebenslauf hat ihm gezeigt, dass es nicht immer geradlinig läuft. Zentral sind für die Kompetenzregion Lausitz daher auch Ansätze für Studierende, die in Semester Nummer zwei oder drei feststellen, dass das gewählte Fach doch nicht ganz das richtige ist. Dass sie vielleicht lieber etwas mit den Händen machen wollen. Wer fängt diese jungen Leute auf, hebt gleichzeitig das Potenzial, dass in solchen Orientierungskrisen schlummert? Wer verhindert, dass sie in ihrem Frust die Region doch verlassen, weil es anderswo – vermeintlich – besser ist?
Auch dazu stecken vernetzte Akteure unter dem großen Dach der Kompetenzregion in Thomas Berlins „Werkstatt“ die Köpfe zusammen. Die BTU ist ebenso dabei wie die IHK, HWK und die Agentur für Arbeit. Geklärt wird, wie der Weg aus dem Studium in die Ausbildung aussehen könnte, welche Scheine oder Prüfungen anzuerkennen wären und vieles mehr, damit die jungen Leute im zweiten Anlauf ihr berufliches Glück finden können – möglichst in der Lausitz.
Idealerweise, aber eben nicht immer realistisch, ist beim Schritt zuvor schon alles gut gegangen: der beruflichen Orientierung. Auch das ist ein wichtiger Teil des weiten Arbeitsfelds. Ziel ist es, sagt Thomas Berlin, dass die Unternehmen gut ausgebildete Azubis vorfinden. Praktikumswochen im Sinne von fünf Tage – fünf Betriebe sollen dabei helfen; finanziert und angelaufen sind sie in Cottbus und Spree-Neiße bereits. Der Plan ist, dies für die gesamte Lausitz aufzulegen.
Die Pilot-Erprobung dieser Matching-Platform „praktikumswoche.de“ wird als durchaus erfolgreich eingeschätzt. Sie ist Teil der ersten praktischen Angebote des gerade im Aufbau befindlichen Innovativen Lernzentrums (ILL) in Großräschen, das am Ende in einen Campus münden soll. 240 Praktikumstage sind an Schüler im Alter von 15-20 Jahren bereits vermittelt worden; mancher hat so schon feststellen können, ob der Traumberuf dem Realitäts-Stresstest standgehalten hat.
Branchenübergreifend, durch praxisbezogene Berufsorientierung soll im ILL die Berufswahlkompetenz Jugendlicher gefördert werden. Die Aufträge an die Partner für das pädagogische und weitere Konzepte, auch das für das Jugendgästehaus, sowie für die städtebauliche Rahmenplanung sind vergeben. Nun folgt Projektskizze für die nächste Phase, die Errichtung des Innovativen Lernzentrums. So gehen Großprojekte in die Umsetzung: Stein auf Stein.
Quelle: Lausitz Magazin, Frühjahrsausgabe´23
Foto: Thomas Berlin (links)_copyright: zwei Helden